Freitag, 13. Februar 2015

Auf einen Kaffee mit ... Christine Brugger

Auf ihre Frage wo wir uns treffen könnten schlugen wir der Sensorikerin Christine Brugger ihr Lieblingscafé vor. Wir trafen uns dann in der altehrwürdigen Bar der Kronenhalle. Vermutlich gibt es keinen geeigneteren Ort als diese Bar wo weltmeisterliche Drinks auf stilvolles Ambiente treffen um Christine Brugger gerecht zu werden. Über zwei Stunden sitzen wir gleich neben ihrem Lieblingsbild und diskutieren über Geschmack und Genuss. Im Gespräch stösst sie immer wieder Türen zu Welten auf die an 1001 Nacht erinnern, die Lust auf sensorische Entdeckungsreisen machen.


Kaffa Wildkaffee: Christine, was bedeutet für Dich als Sensorikerin Geschmack?
Christine Brugger: Geschmack ist die Stütze des Aromas, die Basis sozusagen. Der Geschmack polarisiert sehr schnell, sagt einem ob man etwas mag oder nicht.

KW: Geschmack verändert sich mit der Zeit und mit der Region. Kann man sagen, Geschmack ist was gefällt oder gibt es eine objektive Komponente?
CB: Wie gut man Geschmack im physiologischen Sinn unterscheiden kann ist zu 60% - 70% genetisch bedingt. Geschmackspräferenzen werden schon im Kleinkindalter ausgeprägt, mit der Zeit entwickeln sich diese, grundlegende Veränderungen finden aber kaum statt. Und ja, es gibt objektiv guten Geschmack.

Christine Brugger beschäftigt sich seit über 13 Jahren hautpberuflich mit der umfassenden Welt der Aromen. Mit Ihrer Firma Aroma/Reich bietet sie Privaten und Firmen Geschmacksschulungen, Sensorikseminare und Genussabende an und steht bei Fragen rund ums Thema mit Rat und Tat zur Verfügung. Von 2008 bis Mitte letzten Jahres war sie Leiterin Sensorik an der Agroscope Forschungsanstalt in Wädenswil. Vorher war sie Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschafte und davor arbeitete Sie beim grössten Aromenhersteller Givaudan wo sie eine weltweit gültige Sprache für Aromen entwickelte. Ihr Studium machte Christine Brugger in Ernährungswissenschaft, aber lebenslang den Leute zu sagen wie sie zu essen hätten behagte ihr nicht und sie ist heute mehr denn je überzeugt, dass wenn der Mensch sich gut zuhört weiss, was sein Körper braucht. Aufgewachsen ist Christine auf einem über viele Generationen geführten Bauernhof am Bodensee, der seit 40 Jahren als biologisch-dynamischer Obsthof geführt wird.

KW: Welche Geschmackserinnerungen hast Du aus der Kindheit?
CB: Der betörende Duft beim Öffnen der Türe unseres Apfellagers und der zarte Duft von Apfelblüten. Diesen würde ich gerne als Parfum destillieren.

KW: Was hast Du als Kind nicht gerne gegessen?
CB: Rosenkohl. Mich wollten schon ganz viele von ihrem ultimativen Rosenkohlrezept überzeugen und jemand versuchte es mal, indem er jedes einzelne Kohlköpfchen mit Speck umwickelte. Aber auch das half nichts. Ich bin sehr bitterempfindlich, das heisst, dass ich Bitterstoffe oft meide. Deshalb bin ich auch bei Kaffee wählerisch. Ich trinke ihn gerne mit Milch weil diese einen Teil der Bitterstoffe bindet. Und Zimt mochte ich auch nicht besonders.

KW: Erinnerst Du Dich an Deinen ersten Kaffee?
CB: Nein. Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber den ersten richtig guten Kaffee habe ich in Italien genossen.

KW: Balthasar Gracian, ein bedeutender philosophischer Schrifsteller der klassischen spanischen Literatur sagte einmal: "Den Geschmack soll man genauso kultivieren wie den Geist". Wie trainiert man Geschmack?
CB: In dem man probiert, verkostet. Am besten blind, das Ausschalten eines Sinnes erhöht die Wahrnehmung der anderen. Und das Auge beeinflusst das Geschmacks- und Geruchsempfinden enorm. Und immer mehrere Produkte. Vier Sorten Äpfel, fünf Sorten Parmesan, drei Sorten Olivenöl. Im Vergleich findet man viel besser Unterschiede und vergleichen fällt auch leichter wenn man nicht alleine ist. Im übrigen kann man auch bei Aroma/Reich Seminare buchen zur Sensibilisierung des Geruchs- und Geschmacksempfinden und um die richtige Sprache zur Beschreibung zu erlernen.

http://www.organic-distillery.com/

Sagt sie und lächelt verschmitzt. Sie fühlt sich sichtlich wohl hier in der Bar der Kronenhalle. Kein Wunder, denn seit sie, die in vierter Generation die erlterliche Hofbrennerei führt, im Herbst letzten Jahres mit Ginn und Ginnie ihre ersten, selbstgebrannten Gin lanciert hat ist sie mit den Barmen auf Du-und-Du. Ginn, mit eher holzig-harzigen Noten und Zitrusaromen spricht vermutlich eher Männer an und Ginnie, mit floral-würzigen Noten wie Jasmin, Lavendel und Kardamom eher Frauen. Diese wahren Aromenbomben werden bevorzugt pur und bei Zimmertemperatur genossen, auch wenn sie gemäss Barchef Christian Heiss auch für Drinks eine sensorische Bereicherung sind. Einen ausgezeichneten Bericht über die Herstellung ihrer Gins findet man übrigens hier in der Hotellerie et Gastronomie Zeitung.

KW: Ist Geschmackstraining eine Frage des Geldes, der finanziellen Mittel?
CB: Nein. Warum sollte es das?
KW: Weil gute Produkte, wie zum Beispiel ein langgeführtes, biologisches Sauerteigbrot aus dem Holzofen, teurer sind als industriell hergestellte Massenware ...
CB: Man muss ja nicht unbedingt fünf Kaviarsorten vergleichen um seine Aromabibliothek aufzubauen. Es ist wohl eher eine Frage der Prioritäten die man im Leben setzt. Möchte man mehr Geld ausgeben für Lebensmittel, das, was einem am Leben hält und Genuss bringt oder lieber immer drei neue paar Jeans haben? Wichtig ist mir die Wertschätzung der Arbeit, der Ursprungsqualität, die hinter Lebensmitteln steht. Für 90 Rappen das Kilo Mehl kann kein Bauer Wert-Voll produzieren ... Und ich bin überzeugt, wer sein Essen wertschätzt braucht auch weniger um satt zu werden.

KW: Wie beeinflusst Hunger unseren Geschmack? Warum schmeckt ein Stück Brot und Käse nach einer langen Wanderung doppelt so gut?
CB:
Hunger beeinflusst unser Geschmacksempfinden sehr. Zum einen spielt nach der langen Wanderung der Belohnungseffekt eine Rolle, zum anderen die Vorfreude. Und dann spielt auch die Atmosphäre eine sehr wichtige Rolle. Man ist durch Kuhwiesen gelaufen und hat Tannenwälder durchquert, auch die frische Luft macht empfänglich für Aromen. Bei Tests wurde die Wichtigkeit der Umgebung in der man isst nachgewiesen. Genau die gleiche Mahlzeit wurde in der Kantine schlechter bewertet als im Drei-Sterne-Lokal.

KW: Kann ein Ritual den gleichen Effekt haben?
CB: Absolut, und auch hier geht um den Belohnungseffekt. Ein Teeritual bereitet vor, nimmt Zeit in Anspruch und an dessen Ende steht der Genuss als Belohnung für den Aufwand.

KW: Hast Du ein Kaffeeritual oder gab es in Deiner Kindheit eines?
CB: Ich trinke gerne Kaffee - ich habe nur zuhause (noch) keine Kaffeemaschine wie ich sie mir wünschen würde. Als Alternative verwende ich eine italienische Moka. Von zuhause kenn ich es so, eine Kapsel Kardamon in den Siebträger und nachher das Kaffeepulver darüberlöffeln. Rituale sind nicht so mein Ding.

KW: Welche Assoziationen weckt das Wort Kaffee in Dir?
CB: Aromenreichtum. Es ist unglaublich wie viel Aroma in dieser kleinen Bohne steckt. Unmittelbar. Die Geschmacksexplosion ist sofort da. Röstaromen. Es sind diese archaischen Röstaromen die unsere primären Sinnesorgane sofort ansprechen.

KW: Foodpairing war das Thema unseres letzten Artikels hier im Blog. Passt Kaffee zu Gin?
CB: Bis vor kurzem hätte ich Mühe mit dieser Kombination gehabt. Meine Mutter hat aber letzthin spontan einen Schuss Ginnie in den Kaffee getan und das passte perfekt. Es war ein äthiopischer Kaffee, wie bei meiner Mutter üblich mit Kardamom aromatisiert. Auch im Ginnie hat es Kardamom und die Heirat zwischen diesen beiden war wirklich ein grossartiges Geschmackserlebnis.

KW: Herzlichsten Dank, Christine, für dieses wunderbare Gespräch. Wir sind gespannt, was die Organic Distillery als nächstes auf den Markt bringt.

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bee_in_apple_blossom.jpg
Quelle: Wikimedia

Christine Brugger muss man erlebt haben. Dass Rituale nicht so ihr Ding sind nimmt man dieser faszinierenden, spontanen und sehr natürlichen Persönlichkeit sofort ab. Sie entscheidet mit Bauch und Herz und geniesst mit allen Sinnen. Manchmal, sagt sie, sei es schwierig mit jemanden Essen zu gehen der nicht die gleiche Begeisterung für hemmungslosen Genuss teilt wie sie. Sie ist nicht Sensorikerin von Berufes wegen, sie lebt es, 24 Stunden am Tag, sie kann gar nichts anders. Diese erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit an Sinneseindrücken lässt sie das Leben viel intensiver, viel reicher erfahren. Diese zu teilen bereitet ihr enorm grosse Freude und Befriedigung.

Und doch, es gibt einen Ort der Christine Brugger noch gerechter würde als die Bar der Kronenhalle ... ein blühender Apfelhain.

P.S.: Christine Brugger hat auch zwei Bücher geschrieben. Das eine über Spargel, das andere über ... Äpfel.

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